"Wirtschaften im Sinn des Gemeinwohls“ mit EU-Kandidatin Anna Deparnay-Grunenberg

Gemeinsam eingeladen in den Klosterhof hatten die Herrenberger Regionalgruppe "Gemeinwohlökonomie Baden-Württemberg" und die Herrenberger Grünen. Erwartet zum Thema "Wirtschaften - Im Sinn des Gemeinwohls" hatten die Veranstalter 20 Interessierte. Gekommen waren dreimal so viele.

01.04.19 –

Gemeinsam eingeladen in den Klosterhof hatten die Herrenberger Regionalgruppe "Gemeinwohlökonomie Baden-Württemberg" und die Herrenberger Grünen. Erwartet zum Thema "Wirtschaften - Im Sinn des Gemeinwohls" hatten die Veranstalter 20 Interessierte. Gekommen waren dreimal so viele.

Für Karl-Heinz Weiss, der als Initiator der neugegründeten GWÖ Gruppe die Gäste begrüßte, war der Abend der Auftakt zu einer Vielzahl von Veranstaltungen, die den Gedanken einer der Gemeinwohl verpflichteten Wirtschaft verbreiten sollen - wobei das Thema angesichts des großen Andrangs wohl schon heute nicht ganz unbekannt ist. Die Gruppe trifft sich zweimal im Monat im Klosterhof, was Karl-Heinz Weiss zu einem Dankeschön an die Stadt veranlasste, die vielfältigsten Gruppen Räume dort zur Verfügung stellt. Ulrich Kurz, Vorsitzender der Herrenberger Grünen, begrüßte die Hauptrednerin Anna Deparnay-Grunenberg. Sie versuche seit langem als Fraktionsvorsitzende im Stuttgarter Gemeinderat das Konzept der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) kommunal umzusetzen. Jetzt kandidiert sie für die Grünen in der Europawahl. Kurz verwies darauf, dass die zeitgleich mit den Kommunalwahlen stattfindende Europawahl die weitaus wichtigere sei – sie sei eine Richtungswahl zwischen rechtspopulistischer Europafeindlichkeit und den Prinzipien eines solidarischen Europas. Er betonte, dass sich sonderbarerweise gerade Regierungen von Ländern, die besonders vom solidarischen Geldtransfers profitieren, europafeindlich äußerten. Auch sei er gespannt auf den Vortrag, denn das Messen volkswirtschaftlichen Wohlbefindens allein anhand des Bruttosozialprodukts sei ungeeignet, qualitative Aussagen zu treffen. Sinnvolle wie sinnlose oder sogar schädliche Investitionen würden gleichermaßen das Bruttosozialprodukt steigern.

Anna Deparnay-Grunenberg nahm das Stichwort Europa zum Anlass, ihre persönliche Biografie zu erzählen. In Berlin geboren, Vater Deutsch-Schweizer, Mutter Französin, in Frankreich aufgewachsen, in Freiburg studiert, und heute in ihrer Wahlheimat Stuttgart Grünen Fraktionsvorsitzende im Rathaus. In das Thema "Gemeinwohlökonomie" sei sie als Forst- und Umweltwissenschaftlerin geradezu hineingewachsen, habe sie sich doch schon immer die Frage gestellt, wie wir nachhaltig, ohne den nachfolgenden Generationen zu schaden, leben können. 2014 habe sie einen Aha-Effekt gehabt, als sie auf die Gedankenwelt Christian Felbers, dem Begründer der ökonomischen Gemeinwohlschule, traf.

Die beiden Grundgedanken Felbers seien: unsere Art zu Leben und zu Wirtschaften stoße an "planetarische" Grenzen. Und unser westliches Konsumverhalten gehe auf Kosten der armen Länder. Dabei seien Klimawandel, Nitrat im Boden und Verlust der Biodiversität die größten Herausforderungen. Unser momentanes Konsumverhalten sei Raubbau, der eigentlich 2,8 Planeten benötige. Die UN-Agenda 2030, eine Weiterentwicklung der Milleniumsziele, formuliere deshalb 17 Bereiche, in denen umgesteuert werden müsse. Dazu gehörten neben ökologischen auch soziale Ziele, die für eine gerechtere Verteilung von Reichtum und den Folgekosten unseres Wirtschaftens sorgen sollen. Dies führe zu einer Umdeutung des Begriffs "Entwicklungsland" - auch Deutschland sei ein Entwicklungsland, das sich in vielen Bereichen, etwa der ungerechten Verteilung von Reichtum, ändern müsse. Und die Änderung könne und müsse auf allen Ebenen erfolgen, auch im kommunalen und privaten Bereich.

Deparnay-Grunenberg stellte selbst die Frage, ob der Ansatz einer Gemeinwohlökonmie nicht naiv sei. Dies verneinte sie, denn genau denselben Gedanken drücke das Grundgesetz im oft vergessenen Artikel 14 aus: "Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen."

Die konkrete Umsetzung auf kommunaler Ebene sei in Stuttgart, übrigens mit den gemeinsamen Stimmen von CDU und Grünen, teilweise gelungen. Am Anfang stand die GWÖ-Zertifizierung von vier städtischen Betrieben. Anhand einer Matrix wurde der Ist-Zustand in den relevanten Bereichen gemessen und nachfolgend Aktionen abgeleitet. Zwei Stuttgarter Betriebe sind mittlerweile GWÖ-zertifiziert. In Deutschland wollen Mannheim, Konstanz und München folgen und ebenfalls ihre kommunalen Betriebe GWÖ bilanzieren lassen.
Deparnay-Grunenberg schloss mit den Worten "Wir haben die Kraft, die Welt zu gestalten".

Dr. Heike Voelker, die für Bündnis 90/Die Grünen auf Platz eins für den Herrenberger Gemeinderat kandidiert, übertrug im Anschluss das Gesagte auf Herrenberg. So solle im anstehenden "Leitbild 2030", anders als im aktuellen "Leitbild 2020", der Begriff "dem Gemeinwohl verpflichtet" im Zentrum stehen. Auch müsse die Stadt durchaus transparenter kommunizieren - sei doch Transparenz eine der zentralen Forderungen der Gemeinwohlwirtschaft. Als Beispiel nannte sie die Studie zur Parkraumsituation in Herrenberg, die nach wie vor nicht veröffentlicht sei. Auch verwundere, dass im IMEP, dem Integrierten Mobilitätsentwicklungsplan, das Thema Klimaschutz praktisch nicht auftauche. Sie verwies aber auch auf positive Beispiel in Herrenberg. So feiere die Lokale Agenda mit ihrem Motto "global denken - lokal handeln" gerade ihr 20jähriges Jubiläum. Im Weltladen der Eine-Welt-Initiative sowie dem AK Energie seien durchaus schon Elemente der Gemeinwohlökonomie umgesetzt. Ihre Idee: jetzt auch die Stadtwerke GWÖ zertifizieren zu lassen.

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