Haushaltsrede 2011

23.03.11 –

Sehr geehrte Anwesende,

alle Bürgermeister müssten eigentlich GRÜN wählen, denn die Grünen treten für die Auffrischung des kommunalen Finanzpolsters ein, auf dem so viele Lasten liegen, dass keinerlei Luft mehr drin ist. Investitionsrückstände müssen aber abgebaut und die kommunalen Daseinsaufgaben erledigt werden können. Dazu wollen wir Grünen  die Gewerbesteuer zu einer kommunalen Wirtschaftssteuer weiterentwickeln. Und wir verlangen, dass das Konnexitätsprinzip (wer ein Gesetz mit Folgekosten macht, muss auch für die Finanzierung gerade stehen) endlich eingehalten wird.

Auf Bundesebene geht es leider genau in die andere Richtung: Streichungen bei Kinderwohngeld und Heizkostenzuschüssen sind Bumerangs, die die Finanzen der Kommunen weiter beuteln. Die Novembersteuerschätzung sah die Kommunen gegenüber 2008 – vor der Finanzkrise – immer noch in einem Minus von ca. 10 %. Da ist es keine Überraschung, dass auch unsere solide wirtschaftende Stadt zwei Millionen Schulden für den laufenden Betrieb machen muss. Schulden, die die Grüne Fraktion aber mitträgt.

In unserer Haushaltsrede 2011 hatten wir den Investitionsschwerpunkt bei der Kleinkindbetreuung gefordert. Die bis 2014 vorgesehenen 4,7 Millionen für Baukosten tragen dem Rechnung und sind echte Standortinvestitionen für die Zukunft. Zur Entlastung der Städte und Gemeinden bei dieser gesellschaftspolitisch wichtigsten Aufgabe haben Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Parteiprogramm eine Drittelfinanzierung beschlossen.

Bedenklich ist nach wie vor die Abhängigkeit des Haushalts von Grundstücksverkäufen, die 61 % des Investitionshaushalts dieses Jahr ausmachen. Eine Lösung, egal auf welcher geopolitischen Ebene, für unsere flächengefräßige Lebensweise wird nicht wirklich verfolgt. Sie läge im konsequenten „Innen vor Außen“ und einem überregionalen Flächenausgleichsystem analog dem CO2 Emissionshandel.

Um die steigenden Aufwendungen für Pflichtbereiche wie Bildung und Sanierung städtischer Gebäude zu bewältigen, müssen im Kleinen wie im Großen Ausgaben hinterfragt werden. Dazu gehört, um nur wenige zu nennen, die Struktur der Feuerwehr genauso wie der Standard der Wickeltische (7000 Euro! Wer erinnert sich nicht an diese Summe!) oder der Ausstattungs- und Ausbaustandard bei Um- und Neubauten und bei Straßensanierungen – die Freien Wähler hatten zum letzten Beispiel auch mal einen Antrag eingebracht. Und ohne die Aktivitäten des Gewerbevereins zu beeinträchtigen, hätten wir auch auf neue Wirtschaftsförderungsmittel 2011 einmalig verzichten können, ähnlich wie der Gemeinderat dies für die Kürzung des Teilortsbudgets beschlossen hat.  Aber auch die Kosten für Spielgeräte auf Spielplätzen gehören überprüft. Die Spielfreude bei Kindern steigt nicht linear mit den Preisen für die Ausstattung. Es gibt keine anregenderen Spielplätze als die in Ammerbuch, die nicht den Hochglanzprospekten entsprungen sind. Die stereotypen Verweise unserer Verwaltung auf fehlende SpielgeräteTÜVnormen für Kletterbäume aus dem Wald müssten jetzt eigentlich überholt sein, nachdem wir sogar einen Waldkindergarten bekommen sollen. Oder werden alle Bäume und Pflanzen dort TÜV geprüft sein?

Wir erneuern auch unseren Vorschlag, zielgenaue Fördermittel aus EU-Töpfen z.B. durch Studierende in Form einer bezahlten Magisterarbeit herausfiltern zu lassen. Solche Mittel können an unsere laufenden und geplanten Programme und Maßnahmen andocken. Zur Erinnerung: nur 10 % der für Baden-Württemberg bereit stehenden EU-Mittel werden abgerufen!

Unter dem Stichwort Sparen sehen wir auch unseren Antrag zur interkommunalen Zusammenarbeit im Bereich Vollzugswesen.

Stadtentwicklung

Mit der Leitbildformulierung und dem Ideenwettbewerb „Westliche Innenstadt“ stellen wir 2011 Weichen weit in die Zukunft. Vor allen aufgelisteten Maßnahmen, die festhalten, WAS wir TUN möchten, muss als Präambel formuliert werden, was für eine Stadt wir SEIN wollen. Dabei müssen wir uns gegen andere Kommunen behaupten. Betreuung, Schulvielfalt, Wohnqualität (im Übrigen nicht gleichzusetzen mit Neubaugebieten), attraktives Einkaufen, soziale Infrastrukturangebote für alle Altersgruppen, das Ziel einer 100 % igen Versorgung mit regenerativer Energie, kulturelle Toleranz  – mit diesen Facetten kann Herrenberg eine klare Identität ausbilden, um für heiß umkämpfte Zuzügler attraktiv zu bleiben. Begleitend muss die Stadt sich als Einheit wahrnehmen und dies durch eine kommunale Wahlrechtsreform auch dokumentieren.

Herrenberg ist auf gutem Weg, eine echte „Bürgerkommune“ zu werden, in der wichtige Prozesse (Stichwort Herrenberg 2020, Freibad, Bildungsprozess) von interessierten BürgerInnen begleitet werden. Es müssen aber nicht nur die großen Themen sein. Wir schlagen zur Verstetigung regelmäßige Quartiersversammlungen unter Leitung der Verwaltung vor, bei denen die Bewohner große und kleine Themen ihres engsten Wohnumfelds direkt besprechen können.

Hinweisen möchten wir darauf, dass darauf zu achten ist, dass verschiedene Ebenen dessen, was im weitesten Sinne „Bürgerbeteiligung“ genannt werden kann, sich nicht in die Quere kommen. Wir denken dabei an die Bürgerstiftung, den Bürgertopf und die Vereinsförderung. Mehr Profilschärfe fördert hier Akzeptanz und Nutzen.

Umwelt- und Klimaschutz

Die Super E10 Debatte zeigt erneut, wie weit weg Deutschland davon ist, zielstrebig und im Konsens das unerlässliche Umsteigen auf regenerative Energien planmäßig und umweltverträglich umzusetzen. Und die Nuklearkatastrophe in Japan zeigt leider erschreckend deutlich, wie dringlich das schnelle Aussteigen aus der nicht beherrschbaren Atomenergie ist.

Wir brauchen auch in unserer Stadt eine Debatte, wie wir das Ziel 100 %iger Versorgung mit nicht-fossilen Energien langfristig angehen können. „Herrenberg fossilfrei“ - ein solcher Weg wäre gleichbedeutend mit regionaler Wirtschaftsförderung im besten Sinne, da die Wertschöpfung vor Ort verbleibt. Ein Baustein dazu ist, städtische Gebäude und Stadtquartiere, die wir überplanen und vermarkten, an einem Energiestandard auszurichten, der weit über die Vorgaben der geltenden EnEV 2009 hinaus geht. Warum sich an etwas orientieren, was nächstes Jahr schon wieder überholt ist? Wir können und müssen Häuser bauen, die Energie produzieren statt ständig welche zu verbrauchen. Stichwort Raingasse, Bauhof, Stadtwerkeareal, ... Alles, was wir hier und heute bauen, soll doch für 50, besser 100 Jahre und mehr funktionieren – ökologisch, ökonomisch und sozial. Hier und jetzt zukunftsorientiert planen und bauen, das ist ein Leitbildaspekt, mit dem wir nicht nur punkten, sondern mit dem wir Verantwortung übernehmen.

Die Stadtwerke spielen eine wichtige Rolle, wie wir uns im Jahrhundert der regenerativen Energien positionieren. Sie sind auf einem guten Weg, vom Sorgenkind zu einem echten Aktivposten zu werden. Sorgenkind, weil durch zu langes Beharren auf den traditionellen Betriebszweigen die Zukunftsfähigkeit auf dem Spiel stand. Der kürzlich vorgelegte Plan zur Neuausrichtung kam zwar erst ein Jahr nachdem unsere Fraktion dies im Zusammenhang mit der Debatte über die Konzessionsneuvergabe gefordert hatte, aber wenn die Vorschläge realisiert werden, haben die SWH gute Entwicklungschancen -  trotz Störfeuer aus Berlin (Stichwort Einknicken vor der Atomlobby mit Laufzeitverlängerung) .

Die Lärm- und Feinstaubproblematik an Schickplatz und Nordumfahrung begleitet uns dauerhaft. Wenn schon die deutsche Autoindustrie nicht viel zu einer Verringerung unserer Belastungen beizutragen in der Lage ist, müssen wir den ordnungspolitischen Rahmen mit Tempolimit und LKW-Durchfahrverbot  ausschöpfen. Die heilige Kuh Bundesstraße ist schon lange nicht mehr so unantastbar, wie man an Maßnahmen in Stuttgart und auch bei der Ortsneugestaltung von Kuppingen sehen kann.

Mit zwei Anträgen zum etwas sperrigen Thema Beschaffung und Ausschreibungen möchten wir eine Diskussion darüber anstoßen, welch positive Einflüsse auf Produkte und Produktionsweisen der Wirtschaft die öffentliche Hand mit ihren viele Milliarden umfassenden Auftragsvergaben und Einkäufen ausüben und dabei noch sparen kann.

Ökologische und soziale Anforderungen in Ausschreibungen sind rechtlich zulässig und vom nationalen Gesetzgeber sowie der EU sogar gefordert. In der Regel wird das praktisch ignoriert und zum billigsten, nicht wirtschaftlichsten Angebot gegriffen – auch bei uns.

Jedes Leitbild muss eine eindeutige, verbindliche Festlegung auf sparsamen Flächenverbrauch enthalten. Mit dem von allen Fraktionen akzeptierten Grundsatz „Innen- vor Außenentwicklung“ wäre eigentlich alles gesagt. Wir trampeln aber in Herrenberg auf dem gewohnten Pfad der Neubaugebietsausweisung weiter. Appenhalde, Raingasse, Unten im Dorf, Gartenäcker, .... wer ist als nächstes wieder dran? Welcher Teilort hat den Mut, aus diesem Ringelreihen auszubrechen? Allein ausgewiesene Siedlungsschwerpunkte entlang der Schiene haben eine gewisse Berechtigung. Aber auch in der Raingasse werden wir als Grüne genau auf die Nachfrage achten. Die Kernstadt und Gültstein brauchen eindeutig kein Neubaugebiet – obgleich sie Schwerpunkte sind. D.h.: Gartenäcker ist überflüssig – das sage ich als Herrenbergerin aus Gültstein. Eine Parallelpolitik von neuen Wohngebieten und verstärkter Nutzung von Bestandsflächen kann nur scheitern. Komplizierte und auf den ersten Blick weniger attraktive Altflächenvermarktung hat nur Chancen, wenn der Nachfragedruck hoch ist. Der Haushalt sieht 4,7 Millionen Grunderwerbsausgaben vor und behindert dadurch andere wesentliche Investitionen wie z.B. den Markwegtunnel. Wir haben bis heute keine Wohnbedarfsanalyse erstellen lassen, die die demographische Notwendigkeit derartig hoher Ausgaben stützt.

 

Bildung

ist Standortfaktor Nummer 1 und Zukunftssicherung in Einem. Die hohen Ausgaben im Haushalt spiegeln diese Bedeutung auch fiskalisch wider.  Die absoluten Kosten für Unterhaltung und Personal werden sich auch in Zukunft nicht ändern – hoffentlich aber die Zufinanzierung von Land und Bund. Ich erwähnte die Haltung der Grünen dazu bereits.

Bisher war Herrenberg eine Schulstadt. Das trifft die Realität nicht mehr – wir sind eine Bildungsstadt. „Bildung für jedes Alter“ muss der neue Ansatz sein. Angesichts der sich stetig verändernden Situation in diesem Bereich ist es deshalb auch folgerichtig, einen moderierten, übergreifenden Bildungsdialog durchzuführen. Die grüne Fraktion erwartet davon, dass die Brenn- und die brennenden Punkte im Herrenberger Bildungsleben deutlich herausgearbeitet und die Richtung für eine Weiterentwicklung vorgegeben werden. Dazu gehören  folgende Eckpfeiler:

  1. ein stark auszuweitendes  Betreuungsangebot mit flächendeckender Kernzeitkapazität sowie Neuangebote für die 5. und 6. Klassen der weiterführenden Schulen.
  2. Eine stärkere Zusammenarbeit mit externen Anbietern beim Ausbau der Kitaplätze, wozu wir einen Antrag eingebracht haben.
  3. Eine stetige Herabsetzung des Betreuungschlüssels und eine vertrauensvolle und achtsame Zusammenarbeit der Kindergartenleitung mit den Erzieherinnen vor Ort.
  4. Integration durch Bildung. Jedes dritte Kind bei uns hat einen            Migrationshintergrund. Viele bereits vorhandene Fördermaßnahmen in den Schulen und außerhalb müssen gesichtet, aufeinander abgestimmt und verstärkt werden.

Ein Bildungsdialog kann durchaus in einen wie vom Oberbürgermeister vorgeschlagenen Bildungsbeirat münden. Entscheidend dabei ist nicht die Bezeichnung, sondern die Art der Beteiligung. Der kürzlich auf unseren Antrag hin tagende Runde Tisch zur Zukunft der Jerg-Ratgeb-Realschule hat einen positiven Prozess in diesem Zusammenhang angestoßen. Auf jeden Fall muss ein regelmäßig, nicht nur pro Forma wie der alte Schulbeirat, tagendes Gremium entstehen, dem alle am Bildungsprozess Beteiligten angehören: von der Erzieherin bis zur Schulleiterin. Bei Bedarf auch Vertreter der Senioren.

Auch Vereinsarbeit ist im weitesten Sinne Bildungsarbeit. Wir freuen uns sehr, dass

die Verwaltung im Haushalt 18 000 Euro mehr für Jugendarbeit in den Vereinen eingestellt hat. Damit wurde dem langjährigen Drängen unserer Fraktion und der ARGE Sport nachgekommen.

Die 50 000 Euro, die wir als erste, eher symbolische Rate für den Neubau des Markwegtunnels beantragt haben, trägt der Bedeutung des zweiten großen Bildungscampus in Herrenberg Rechnung. Der Gesamtelternbeirat hat die Fraktionen, leider sehr knapp vor den Haushaltsberatungen, kontaktiert und um die Einstellung einer Ansparrate gebeten. Da der Tunnel ein Projekt ist, das vielen jungen „Bürgern“ zugute kommen wird, schlagen wir als Deckungsrahmen den mit 200 000 Euro ausgestatteten Bürgertopf vor.

Viel Planungsarbeit wurde im vergangenen Jahr in die Zukunftsausrichtung Herrenbergs sowie die interne Umstrukturierung der Verwaltung gesteckt. Bei allem Verständnis dafür, dass dies viele Kräfte gebunden hat, möchten wir doch um eine zügigere Umsetzung von Gemeinderatsbeschlüssen bitten. Beispiel: der vor einem Jahr bei der Haushaltsberatung gefasste Beschluss, ein Radewegebüro damit zu beauftragen, Vorschläge für Markierungen auf den Hauptverkehrsachsen der Kernstadt zu planen, ist noch nicht einmal ausgeschrieben. Auch die Behandlung von Anträgen der Fraktionen dauert manchmal so lange, dass man Gefahr läuft, sie selber schon zu vergessen!

Zum Abschluss noch ein Zitat des amerikanischen Literaturnobelpreisträgers William Faulkner als Trostpflaster und Relativierung für all die viele Arbeit, die Gemeinderat und Verwaltung tun:

„ Die Menschen sind heutzutage nicht schlechter, als sie früher waren. Nur die Berichterstattung über ihre Taten ist gründlicher geworden.“

Die Fraktion der Grünen wird dem Haushalt 2011 zustimmen.

Für die Fraktion, Maya Wulz

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Bildung | Gemeinderat | Haushalt | Kommunales | Stadtentwicklung

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